Freistatt

  • Heute 23:05 Uhr in der ARD ttt - Titel, Thesen, Temperamente wurde auf den Film "Freistatt" hingewiesen.

    "Freistatt"

    Ein Spielfilm zeigt jetzt die Qualen der ehemaligen Heimkinder in der Bundesrepublik
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    Szene aus "Freistatt": Arbeitspause beim Torfstechen

    Wolfgang ist ein unbequemes Kind, das in der Zeit von Rock'n'Roll und Studentenrevolte nach Freiheit strebt... und von seinem Stiefvater ins Heim gesteckt und dort gequält und ausgebeutet wird. Er teilt dieses Schicksal mit vielen der über einer halben Million Kinder und Jugendlichen, die von den 1950ern bis in die 1970er Jahre in kirchlichen und staatlichen Heimen der Bundesrepublik untergebracht wurden. Die Diakonie Freistatt in Niedersachsen gilt als eine der härtesten Einrichtungen und Endstation vieler Heimkarrieren. Der Spielfilm "Freistatt" beruht auf wahren Begebenheiten – vor allem auf den Aussagen von Wolfgang Rosenkötter, der 40 Jahre lang verdrängt hat, was ihm als Jugendlicher widerfahren ist. Er hat weder mit seiner Frau, noch mit seinem Sohn über die Geschehnisse im Heim gesprochen – bis das Buch: "Schläge im Namen des Herrn" des Journalisten Peter Wensierski alles aufbrechen ließ, weil es die Misshandlungen 2006 erstmals an die Öffentlichkeit gebracht hat.

    Was folgte, war ein Runder Tisch des Deutschen Bundestages und leider eine für die Opfer kaum befriedigende Entschädigung. Bei Wolfgang Rosenkötter riss das alte Wunden auf, die er in mehrjähriger Therapie behandeln ließ: "Kein Tag, an dem ich nicht mit Angst ins Bett ging und mit Angst aufstand." Jetzt kommt der Spielfilm "Freistatt" in die Kinos und zeigt, was viele immer noch nicht wahrhaben wollen: ein bitteres Kapitel deutscher Nachkriegsgeschichte...
    ttt spricht mit Wolfgang Rosenkötter über seine traumatischen Erlebnisse und darüber, warum er heute in Freistatt nicht nur ein Dokumentationszentrum aufbaut, sondern für die Jugendlichen als Vertrauensperson arbeitet.

    Autorin: Katja Deiß

    Der Beitrag:
    Wolfgang – der Sohn vom Ex. Ein unbequemes Kind. Lästig. Die Lösung des Stiefvaters: Erziehungsheim. 1968 - es ist die Zeit von Rock'n'Roll und Studentenrevolte. Und Wolfgang hat keine Ahnung, was auf ihn zukommt im Heim "Freistatt", südlich von Bremen. Der Film "Freistatt" erzählt die Geschichte von Wolfgang Rosenkötter. Er war in diesem Heim in Freistatt "Zögling". 40 Jahre lang war er nicht in der Lage, darüber zu sprechen.

    »Wolfgang Rosenkötter: Man ist der Junge wieder von früher und das macht natürlich auch Schmerzen, auch körperliche. Das morgendliche Aufstellen, die Kommandos, die ständigen, das bleibt. Diese ganzen kleinen physischen und psychischen Demütigungen, die schwere Arbeit, das ständige Schlagen – diese Angst hat sich dann hier vom ersten bis zum letzten Tag fortgesetzt.«

    Doch für Rosenkötter war es wichtig, dabei zu sein bei den Dreharbeiten am Originalschauplatz. Er will zeigen, dass er kein Einzelschicksal ist. Der Film erzählt eindringlich, was über einer halben Million Kinder angetan wurde – in kirchlichen und staatlichen Heimen der Bundesrepublik und das bis Anfang der 70er Jahre!

    Öffentlich wurde das erst 40 Jahre später. Seitdem hat auch Regisseur Marc Brummund dieses Thema nicht mehr losgelassen. Er hatte nie zuvor von Freistatt gehört, obwohl er nur wenige Kilometer vom Heim entfernt aufgewachsen ist.

    »Marc Brummund: Ich selbst habe eine sehr glückliche Kindheit da verbringen dürfen und die Vorstellung, dass es vielen, vielen Kindern und Jugendlichen in der Zeit sehr viel anders ging – das hat mich schon sehr bewegt.«

    Wo kurz zuvor ein Arbeitslager für Jugendliche war, hat der Regisseur als Kind Moorwanderungen gemacht. Die Diakonie Freistatt in Niedersachsen galt als eine der härtesten Einrichtungen und als Endstation vieler Heimkarrieren. Statt Schule Torfabbau. Statt Fürsorge den Willen brechen. Systematisch. Sechs Tage die Woche, morgens bis abends.

    »Wolfgang Rosenkötter: Man musste in den ersten drei Monaten, in denen man hier war, so Holzstiefel tragen, dass man nicht weglaufen konnte. Und das war besonders schwer dann dort zu arbeiten, weil das Moor hat ja immer auch runtergezogen, der Torf war ja glitschig, der Untergrund. Aber man wurde dann immer wieder angetrieben von den Erziehern.«

    Eine Flucht durch die Moorlandschaft war fast unmöglich. Völlig abgeschieden liegt dieser Ort: Was hier passiert ist, hat kaum einer mitbekommen. Freistatt ist eine der ersten Anstalten, die sich - wenn auch erst seit zehn Jahren - zu ihrer Vergangenheit bekennt. Zwangsarbeit – auch im Winter, mit abgefrorenen Fingern.

    Wolfgang Rosenkötter baut heute in Freistatt ein Dokumentationszentrum auf. Damit die Geschichte nicht vergessen wird. Wie der christliche "Bruder" sie hier auch nachts durchs Fenster überwachte. Totale Kontrolle, Ausbeutung und Misshandlung – das Erbe des Nationalsozialismus? Der Film macht deutlich, wie so ein System funktioniert, das die Jugendlichen dazu bringt, sich auch noch gegenseitig zu quälen. Beeindruckend, wie die Schauspieler das Leiden und die Einsamkeit der Jungen spürbar machen.


    »Marc Brummund: Da wurde untereinander aufgepasst, da gab es Vertrauensjungen für die Erzieher, die letztendlich immer geschnüffelt haben, wenn sich zwei Jungs zu sehr angefreundet haben. Und so ist auch gar keine Nähe entstanden. Und das führte zusätzlich zu der physischen Härte noch zu einer psychischen Verrohung und Härte.«

    "Freistatt". Ein Film, der klar macht, warum es wichtig ist, dieses traurige Kapitel unserer jüngeren Geschichte endlich vollständig aufzuklären – nicht nur für die mehr als 600.000 ehemaligen Heimkinder.

    Info-Box: "Freistatt"
    Regie: Marc Brummund
    mit Louis Hofmann, Alexander Held, Stephan Grossmann u.a.
    Länge: 108 Min.
    FSK ab 12 freigegeben
    Kinostart: 25.6.2015


    Quelle: http://www.daserste.de/informa…ung-vom-14062015-112.html

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