Er versucht mir zu erklären, daß in der Sonne ein atomares Feuer brenne. Also doch ein Feuer, sage ich. Er: Ich sagte In der Sonne und nicht Auf der Sonne!
Ich widerspreche und meine, daß das ja wohl Haaspalterei sei. Ich habe nämlich
vor längerer Zeit mal ein Feuer bei einem Heuballen gesehen und das war innen und auch außen, wie bei der Sonne. Er brüllt: Aber das war kein atomares Feuer!!! Er erklärt mir, was solch ein Feuer sein soll. Ich höre aufmerksam zu, fange an zu gähnen, weil ich weiß, da kommt wieder nur Blödsinn raus, denn wo's brennt, da brennt's. Er sollte sich mal auf ein glühendes Kohlestückchen setzen, dann wüßte er, was es heißt, so leichtsinnig über das Thema Feuer rumzutratschen. Wahrscheinlich glaubt er tatsächlich an seine Feuertheorie, der Ärmste.
Ich tätschele ihn liebevoll auf die Backen, also die im Gesicht und schlage ihm eine Runde Soliär vor. Das kann er wenigstens. Beim Solitär kann man aber nur gewinnen, wenn man schummelt. Ich weiß es aber er nicht. Ich frage mich, was er eigentlich überhaupt weiß. Andererseits wundere ich mich, was ich alles weiß. Ich glaube, ich bin ein Wunderkind. Ich stelle mir in Gedanken vor, wie ich diesen Physikern und Astronomen mal später die Meinung geigen werde. Ihr Weltbild wird gewaltig ins Wanken kommen, ich werde reich sein und für mein Kinderzimmer stelle ich einfach einen dieser erfolglosen Sterngucker an.
Papa hat mir auch erklärt, was ein Atom ist. Aber das wußte ich schon vorher. Das ist nämlich ein ganz ganz ganz ganz kleines Kügelchen, welches aus einer Art Porzellan besteht, weil wenn zwei Atome aufeinanderkrachen, gehen sie oftmals kaputt. Das ist dann Physik. Drumherum fliegen noch viel viel viel viel kleinere Minikügelchen, welche aus zerpreßter Watte oder Tempotaschentüchern bestehen, deshalb sind sie so leicht. Das ist dann Chemie. Atome findet man überall, auch im letzten Rattenloch. Auch der Mensch soll aus diesem Kügelchengewusel bestehen. Man hat sie jedoch noch nie gesehen, aber wenn ich meinen Papa anschaue, dann muß es in seinem Kopf unglaublich rumwuseln.
Man muß Atome nicht sehen oder hören können, aber man kann sie erahnen, fühlen und mein Papa ist das lebende Beispiel, mein Lieblingsbeweis.
Ich liebe Papa, weil er es zuließ, daß er so viel von mir lernen durfte.
Wenn ich heute an diese wundervolle Zeit zurückdenke, wird mir warm ums Herz. Oftmals kichere ich oder fange an zu lachen. Meine Kollegen an der Sternwarte schütteln dann erstaunt die Köpfe und denken wahrscheinlich, ich sei etwas verschroben. Ich bin gerne verschroben, denn ich habe ein Geheimnis, das Geheimnis und das Wunder der Kindheit, das lasse ich mir von keinem nehmen.
Mein Papa starb vor drei Jahren, einfach so, still und leise im Bett. Er hat die Geburt meiner Zwillinge, Mädchen natürlich, nicht mehr erlebt.
Wenn die mal acht Jahre sein werden, werde ich die Hölle erleben. Aber diese Hölle ist gar keine, sondern der Himmel auf Erden und ich freue mich unbändig darauf.
Und eines weiß ich jetzt schon. Ich kenne alle Schummeltricks beim Solitär, sollen sie es nur versuchen!