Beiträge von 1PS im Thema „Gab es denn nur Missbrauch und Misshandlungen in Heimen?“

    Will meinen Beitrag noch etwas ergänzen durch die Erlebnisse im 2. Kinderheim
    von 1953 - 1956.


    Mit etwa 12 Jahren hatte mein "Vormund", also der, der immer vor mir die Klappe
    aufgemacht hatte mal wieder eine TOLLE IDEE: End lich soll ich aus den weiblichen
    Gefilde in die Welt der Mannsbilder rekrutiert werde und man schaffte mich also
    ungefragt zu den Klosterbrüdern nach Aachen; also alles Brüder - aber wieso,
    das hatte ich noch nicht intus. Ach ja, da fiel mir dann plötzlich auf, dass die Nonne
    im vorhergehenden Heim Schwestern genannt wurde und ich assoziierte, dass ja
    eigentlich der Begriff NONNE damals jedenfalls ein "Schimpfwort" war, obwohl
    Martin Luther, der ja katholisch war, die Orden weiblicher Belegschaft immer "Nonnen"
    genennt hat.


    Aber so ein Schimpfwort für die Brüder - also alle die, die einen Zipfel haben - ja
    eigentlich keinen Schimpfnamen gab. Nicht das jetzt einer was schlechtes denkt, denn
    mit "Zipfel" meine ich die, die an ihren Gewändern eine oft lange Spitze hatten an der
    Kapuze. Daher kommt ja auch, dass die eigentlichen Erfinder dieser Kapuzen
    Kapuziner heißen, weil die haben bestimmt ein Patent darauf. Und alle anderen Kapuzen-
    träger ( die Benediktiner, die Trappisten, die Zisterzienser) müssen bestimmt Lizenz-
    gebühren bezahlen, wovon die dann keine dicken Zigarren mehr kaufen und rauchen konnten.


    Ach so, ja.! Das war nur ein kleiner Exkurs für diejenigen, die Null-Ahnung haben von diesen
    streng geheim gehüteten Vorschriften.


    Die "Höveraner" - so hießen die aber nicht wirklich, die hatten keine Zipfel(mützen) und
    sind auch kein Tennis- oder Fußballklub, sondern der Gründer dieser Ansammlung von
    Kuttenträgern hieß Johannes Höver und deshalb auch das Heim, wo ich also nun die
    nächsten 3 Jahre (fast) gesiebte Luft atmen durfte, hieß also Johannes-Höver-Haus. Das
    hatte in einem teil der Gebäude auch ein Kinderheim, im anderen ein Lehrlingsheim.


    haus-ruetscher-strasse höverhaus.jpg


    Links war das Haus, in dem ich untergebracht wurdem weil ich ja noch kein Lehrling sein
    konnte. Da war ich geistig wie körperlich noch etwas zurückgeblieben dafür.


    Nicht so aber für die Streiche, die ich mit ein paar Freunden immer wieder mal ausgeheckt habe.
    Da gab es z. B. einen Schweinestall, einen Bruder (so mussten wir diese Mannsbilder anreden)
    Fridolin und seinen oft total verdreckten und stinkenden Hund, mit dem Fridolin rum lief, wo immer
    er auch hin und her sein Ziel ansteuerte. Natürlich nicht in die Klosterkapelle, obwohl nach dem
    Glauben, dass Gott auch alles Getier geschaffen hat, hätte er doch ein Recht darauf gehabt. zu
    seinem Schöpfer auf vier Pfoten zu laufen, denn beten können die auch: oder wer hat nicht schon
    einen ruhig daliegenden Hund mit unüberwindlich sehnsüchtigen Blick und mit übereinander -
    gelegten Vorderpfoten gesehen?


    Aber dieser Br. Florian war ja nicht allein auffällig durch sein ständig verdrecktes Ordensgewand,
    sondern auch durch sein ruppiges Verhalten. Eines Tages an Weihnachten sahen wir ihn mit einem
    Karton von Spekulatius (offenbar ein Teil einer sogen. Anstaltspackung) über den Hof laufen, daneben
    sein Hund, der sich am liebsten diese vielen vielen Leckerlies an Ort und Stelle unter die Pfoten
    gerissen, so wie er diesen Karton angehimmelt hat auf dem Weg zum Schweinestall.


    Ne, ne. So geht aber nicht, denn es hat Tags zuvor geheißen, es sei kein Spekulatius mehr für uns Kinder vorhanden. Rache ist süß: Hubert, Rolf und Peter - das Dreigestirn für Streiche - heckten einen Plan aus,
    der am übernächsten Tag offenbar wurde, als jener Bruder Fridolin vergeblich versuchte, seinen
    Schweinestall zu öffnen. Der Schlüssel des relativ großen Schlosses passte nicht ins Schlüsselloch.


    Als Fridolin erkannte, dass da irgendetwas reingestopft wurde, holte er den Schreiner, der mit einem Hand-
    bohrer Stück für Stück der Schlacke herausgepult hat und seiner wieder seiner Wege ging. Schnaubend
    lief er wohl zum Hausoberen Bruder Silvester, der ihn aber an unseren "Erzieher" verwies. Der war aber
    nicht zu erreichen und so lief Fridolin wieder zum Stall, um diesen zu öffnen. Ging aber nicht! schon
    wieder lief er ins Klostergebäude, wo er dann den Generaloberen des Klosters antraf. Dieser erbarmte
    sich seiner und ging mit Fridolin und Hund (Asta hieß er) zu Stall. Äußerlich war nichts zu erkennen.
    Klar, die 16 Nagelköpfe waren tief eingeschlagen und die kleinen Löcher mit Dreck zugeschmiert. Also
    wurde der Schreiner wieder gerufen, der dann aber bald die Ursache zumindest vermutet hat. Genau!
    So war es denn auch und das Dreigestirn beobachte aus einem Fenster im 3 Stock das Geschehen.
    Die vordere Abschlussleiste, die den einen Flügel der Tür über den anderen legte wenn man die Tür zu-
    machte, musste total weggerissen werden und noch einiges mehr. Einfach köstlich und was haben wir
    gelacht. Wer es war, blieb in den Sternen.


    Und der nächste Streich folgt so gleich nach einer mehrstündigen Pause:


    Schreibt doch einfach mal, was Euch im Heim gefallen hat und was Ihr dort unternommen habt

    ".... und was Ihr dort unternommen habt" - das war in meinem ersten Heim absolut ein Satz mit X, denn da 'hatten wir gar nichts zu unternehmen.' 24 Stunden am Tag unter strenger Aufsicht.


    Weihnachten wäre eigentlich auch mal ne Zeit gewesen, wo man die "schwarze Pädagogik" mal hätte vergessen können, wenn diese Nonnen nicht regelrecht süchtig danach gewesen wären, unsere zu recht erwartete Vorfreude mit irgendeiner Konventionalstrafe wenigstes einmal am Tag zu trüben. Es war eigentlich vieles, was wir als schön empfunden haben, mehr für die Schwestern selbst, als für uns Kinder.


    Nur konnten sie nicht verhindern, dass je nach persönlicher Entwicklung der Kinder, diese Täuschung erkannt oder nicht erkannt wurde.


    "Knaben I" und "Knaben II" war eindeutig ein starker Unterschied: Während "Knaben II" von einer bedeutetnd verständnisvolleren Ordensschwester geleitet wurde, war die von "Knaben I" dagegen eher wie eine ständig zur Aggression bereite Direktrice.


    Nur mal 2 Beispiele:
    Ich muss wohl so etwa 6, vielleicht 7 Jahre alt gewesen sein. Heiligabend warteten wir Kinder vor unserem Aufenthaltsraum darauf, dass wir in den Gruppenraum können, der zweifellos und alle Jahre wieder - das weiß ich aus der Erfahrung - mit Tannenbaum und Krippe schön geschmückt sein würde. Nur das Warten wurde ebenso alljährlich fast zu einer Tortur. Es dauerte und dauerte, weil die sogenannte "Liebe Mutter" ( so hatten wir ausnahmslos die Oberin anzusprechen ) sich vorbehalten hat, bei jeder Gruppe dabei zu sein, wenn "das Christkind kommt." Gut und gerne, oft sogar bis zu 2 Stunden standen wir dort im engen Gang und warteten nämlich von etw 17 - mindestens 18:30 Uhr. So, und dann hörte man wie aus der Ferne schon ein Glöckchen, welches eine andere Nonne zu läuten hatte. Jetzt.............. Jetzt............, aber nein, wir waren noch immer nicht an der Reihe. Im Nebengebäude war noch die Bescherung für die Bediensteten des Heimes
    und dann noch für Knaben II. Ich gehörte zu Knaben I.

    Als es dann soweit war, dass die Liebe Mutter bei uns ankam, hielt sie noch erst eine Kurzansprache und erinnerte uns daran, dass es so arme Kinder gibt, wo man gar kein Weihnachten kennt.................

    Anschleißend ging man 3, 4 oder 5 mal um die in U-Form zusammengestellten Tische und sang" Kommt wir gehn nach Bethlehem, didel dudel didel dudel fum fum fei........." . dann wurde noch vor der Krippe nach gebührendem Staunen erst mal noch ein Gebet "aufgesagt" für das Christkind, für die Maria und noch eins für den Heiligen Josef, ehe dann das sehr schön klingende Glöckchen und das übliche "Nun schaut mal nach, was das Christkind euch gebracht hat" erlaubte, dass wir nach schauten, was es denn gab für uns.

    Eigentlich toll, was die Amerikaner dort zusammen getragen hatten und ich bekam eine Mundharmonika, "Unsere Lieblinge" von Hohner und der Heilige Abend war für mich gerettet. 3 Tage später spielte ich bereits das Lied:"Stille Nacht, heilige Nach; wenn auch noch nicht ganz Fehlerfrei. Am Tage zuvor setzte es nämlich eine saftige Ohrfeige, weil ich die Wiederholung ".......heilige Nacht" am Anfang ausgelassen hatte und statt dessen mit ".... alles schläft, einsam wacht u.s.w....." fortsetzte.

    Ein anderer hätte vielleicht die Mundharmonika - gelinde gesagt - für immer weg
    gelegt. Da hat sich die Nonne aber gründlich geirrt in mir. Noch heute besitze ich
    eine Mundharmonika.

    In meinem letzten Jahr im dortigen Heim gabs das übliche Zeremoniell. Und die "Katastrophe" bahnte sich am 5. Januar an: Das Licht in der Krippe funktionierte nicht mehr und die selbe Nonne war fest davon überzeugt, dass eines der Kinder "da dran gewesen ist und es kaputt gemacht hat."

    Ja, es ging tatsächlich nicht an, dass Licht in der Krippe, nur ihres im Kopf ging aber auch nicht an. Zumindest tat sie so! Sie schickte uns ohne Abendbrot ins Bett, weil sich kein "Schuldiger" zu dem Frevel bekannt hat und die früher schon mal erlebte "Umrüstung" des Baumschmucks in Leckereien würde auch entfallen zur Strafe. Ja, sie überlegte laut, ob nicht Krippe und Baum am nächsten Tag noch da sind. Wer kann ermessen, was in uns Kindern da vor sich ging?

    Fakt war, die Taschenlampenbatterie gab keinen Saft mehr her, sie hätte ausgewechselt werden müssen. Und ich bin sicher, das wußte sie ganz genau. Die Freude der Kinder am nächsten Morgen hielt sich deutlich in Grenzen und was tat ich: Ich verweigerte an diesem Tag gegen ihre Anordnung das Mundharmonikaspiel. Dann gabs Sänge, wie man so sagte und so wurde das Mundharmonikaspiel auch nichts, wenn man dem Heulen und Schluchzen näher ist als alles andere.


    So wie ich das Eine nicht vergessen kann,
    so vergesse ich das Andere aber auch nicht:

    Was ich als sehr schön empfunden habe, war die Christmette: Ich erinnre mich, dass in einem Jahr sogar ein Chor von Nonnen und "Schülerinnen" nebst Harmonium- und Geigenspiel zum Eingang das Lied von Joh. Friedrich Reichardt brachte: Heiligste Nacht, heiligste Nacht" Finsternis weichet, es strahlet hinieden.......". Das war so wunderschön und das Herz berührend vorgetragen. Und ich bin mir sicher, dass da etwas in mir geweckt wurde, was bis dato seine Wirkungen nicht verlorebn hat: Die Liebe zur Chormusik.

    Und dafür bin ich heute noch dankbar.