Der Kreislauf bricht zusammen, die Atmung setzt aus, das Herz hört auf zu schlagen - ein Menschenleben geht zu Ende. Der Körper hat dabei versucht, sein wichtigstes Organ, das Gehirn, bis zuletzt mit Sauerstoff zu versorgen und so funktionsfähig zu halten. Was uns in diesen letzten Augenblicken noch durch den Kopf geht und mit welchen Eindrücken wir sterben, lässt sich nicht mit Gewissheit sagen. Doch der Neurobiologe Gerhard Roth kann erklären, was sich dabei in unserem Kopf bzw. Gehirn abspielt, wenn wir wir sterben.
Eine ganze Reihe von Menschen, die bereits klinisch tot waren, aber wiederbelebt werden konnten, haben geschildert, welche Eindrücke sie in diesem kritischen Moment hatten. Auffallend ist, dass sich diese Nahtod-Erlebnisse stark ähneln. Demnach wollen sich viele der Patienten leicht und schmerzfrei oder gar euphorisch gefühlt haben, einige hatten sogar das Gefühl, ihren Körper verlassen zu haben.
Andere berichten, sie seien durch einen Tunnel gegangen, an dessen Ende ein helles Licht zu sehen gewesen sei. Manche sahen Szenen aus ihrem Leben wie in einem Film vorbeirauschen.
Sterben ist ein Prozess
Solche Nahtod-Erfahrungen haben jedoch mit dem gewöhnlichen Sterbeprozess nichts zu tun, sondern beruhen auf Funktionsstörungen des Gehirns in akuter Lebensgefahr, erläutert Hirnforscher Roth, der selbst bei einem schweren Verkehrsunfall einige dieser Erlebnisse hatte. Abrupt einsetzender Sauerstoffmangel, ausgelöst etwa durch eine plötzliche schwere Verletzung mit hohem Blutverlust bei einem Unfall, kann zu täuschenden Sinneseindrücken führen.
Sterben ist aber meistens kein abruptes Ende, sondern ein Prozess, in dem der Körper verschiedene Phasen durchläuft. Wenn das Herz aufgehört hat zu schlagen, bricht die Blutversorgung der Organe zusammen. Damit erhalten die Körperzellen keinen Sauerstoff sowie keine Nährstoffe und Zuckermoleküle mehr. Die Organe beginnen, nacheinander abzusterben.
Das Gehirn braucht dringend Sauerstoff
In diesem Prozess spielt das Gehirn eine ganz besondere Rolle: Unser Denkapparat benötigt - vereinfacht gesagt - große Mengen an Sauerstoff und Zuckermolekülen, um einwandfrei arbeiten zu können. Seine Stoffwechselaktivität ist pro Volumen rund zehnmal höher als die des gesamten übrigen Körpers und bei starker Hirnaktivität steigt der Bedarf an Sauerstoff und Zucker sogar noch weiter an.
Die Großhirnrinde als Sitz des Bewusstseins benötigt dabei den größten Anteil an Energie, erklärt Roth weiter. Wenn das Herz kein Blut mehr durch den Körper pumpt und dadurch die Versorgung des Gehirns zusammenbricht, so ist die Großhirnrinde davon zuerst betroffen. Das kann zu Bewusstseinsveränderungen, Halluzinationen oder sensorischen Ausfällen und schließlich zur Bewusstlosigkeit führen.
Unterversorgung ruft Halluzinationen hervor
Die Folgen für die einzelnen Hirnareale auf der Großhirnrinde sind gravierend. So ist der Scheitellappen für die Verortung unseres Körpers im Raum sowie für das Erleben einer engen Verbindung von Ich und Körper zuständig. Bei einer Verletzung oder Störung dieser Großhirnregion gerät unsere Eigen-Wahrnehmung ins Wanken; es kann sich zum Beispiel ein Schwebegefühl oder sogar ein "Out-of-Body"-Eindruck einstellen.
Auch eine Unterversorgung des unteren und inneren Temporallappens kann zu irrealen Sinneseindrücken führen: Der Patient sieht plötzlich Bilder, hört Geräusche oder gar Musik, oder fühlt sich euphorisch.
Nahtod-Erfahrungen neurologisch erklärbar
Auf der Großhirnrinde liegt auch unser Erinnerungsspeicher. Der Hippocampus ist für die Einspeicherung und den Abruf der Eindrücke zuständig - und er reagiert besonders empfindlich auf Sauerstoffmangel, erläutert Roth. Eine Fehlfunktion kann dazu führen, dass eine Unmenge Erinnerungsbilder freigesetzt wird. Diese Bilderflut kann dann als eine Art "Film des eigenen Lebens" wahrgenommen werden.
Durch den Sauerstoffmangel im Gehirn kann es darüber hinaus zu einer Enthemmung in der Signalübertragung kommen. Sinneseindrücke können nicht mehr richtig verarbeitet werden. Beispiel Sehen: Die unkontrollierten Signale der Sehzellen interpretiert das Gehirn als weißen Fleck, und da sich nach Ausfall der Augenbewegungen die Zellen zum Zentrum des Gesichtsfeldes hin konzentrieren, sieht man einen weißen Kreis, der zur Mitte immer heller wird. Die Wahrnehmung des Tunnels bei manchen Nahtod-Patienten ließe sich so erklären.
Großhirnrinde stirbt rasch ab
Wie man die Erfahrungen von Nahtod-Patienten interpretiert, bleibt jedem selbst überlassen. Das neurobiologische Wissen um die Fehlleistungen des Gehirns bei Sauerstoff-Unterversorgung zeigt jedoch, dass uns das Gehirn in den letzten Momenten unseres Lebens durchaus einen Streich spielen kann.
Letztlich ist Sterben ein individueller Prozess, der Zeitrahmen ist von Mensch zu Mensch unterschiedlich. Wenn aber schließlich das Herz seine Tätigkeit eingestellt hat, kommt der Tod ziemlich rasch. Die Sauerstoffreserven des Gehirns sind minimal. Schon nach wenigen Minuten kommt es zu irreparablen Schädigungen, und die Großhirnrinde beginnt abzusterben, so Hirnforscher Roth. Dann erlischt das Bewusstsein. Wenn dann auch die Atmung und die unbewussten Reflexe nach und nach ausfallen, was in einer letzten standardisierten Untersuchung überprüft werden muss, erklären die Ärzte den Menschen für tot.
Quelle: http://www.t-online.de