Beiträge von Hagiel im Thema „Mythen und Legenden, Sagen und Märchen“

    Auf der Neuerburg hielt sich eines Tages ein Fräulein von Leuchteraberg auf. Sie war die Verlobte des Grafen von Manderscheid, des Herrn der Burg.


    Dieses Fraulein fand man nach einer stürmischen Winternacht tot in ihrem Bette auf. Der Medikus ward gerufen. Er behauptete, das Fräulein sei vergiftet worden, und dies könne nur eine Hexe getan haben. neuerburg_zeichnung1
    In der Stadt verhaftete man alsbald eine Frau namens Magdalena Pirken. Sie stand bei jung und alt in dem Geruche, eine Hexe zu sein. Zuerst leugnete sie jede Schuld. Als man sie aber auf die Folter spannte, legte sie ein Geständnis ab.


    Frau Pirken berichtete: „Meine begangenen Zaubertaten schweben mir nur traumhaft vor der Seele. Ich kann nicht sagen, ob ich nur im Geiste oder auch leiblich an den Zaubertaten beteiligt war.


    Vor etwa vier Jahren ging ich in den nahen Mühlenbusch. Es gesellte sich zu mir ein schwarzer, fremdartig gekleideter Mann. Er forderte mich auf, Gott ab- und ihm zuzuschwören. Er versprach mir dafür reiche Belohnung. Ich schwor Gott ab und versprach dem fremden Mann blinden Gehorsam.


    Jeden Donnerstag kam der Schwarze und führte mich auf einem ebenso dunklen Bocke zum Schornstein hinaus. Auf dem Dache des obersten Stadtpförtleins ruhten wir aus. Dann zogen wir weiter zum Hexentanzplatz im Mühlenbusch, wo wir herrlich und in Freuden lebten.


    Auf dem Hexentanzplatz haben wir auch beschlossen, das gräfliche Fräulein umzubringen. Auf dem Eligiusfriedhof an der Weiherstraße haben wir ein neugeborenes, noch ungetauftes Kind ausgegraben. Aus der Leiche haben wir den Gifttrank bereitet. Dann zogen wir zu nächtlicher Stunde in die Burg und brachten dem Fräulein den tödlichen Trunk bei."


    Magdalena Pirken wurde vom Neuerburger Hochgericht zum Tode durch das Feuer verurteilt. Auf einer Anhöhe beim heutigen Görgenhof wurde sie verbrannt. Ein Flurname heißt dort heute noch "Am Hochgericht".

    © 1966 Hans Theis, Neuerburg

    Gellend schreit ein Hörn über die Ebene. Aus der Ferne antwortet ein zweiter Ruf. Dann sind es mehrere. Von allen Seiten strömen die keltischen Krieger herbei und versammeln sich bei den Tanzkillbuchen. Sie tragen ihre Kriegsausrüstung: lange, zweischneidige Schwerter in eisernen Scheiden, Lanzen mit langen breiten Eisenspitzen, einige auch Schleudern und Bogen. Den Kopf schützen Helme aus Metall, den Körper deckt ein großer, mit Leder überzogener Schild.


    Unter dem grünen Blätterdach der Bäume wogt bald ein Meer von Lanzen. Die Krieger bilden einen Halbkreis um eine mächtige Buche. Als Gaufürst Imar einen Fels am Fuße der Buche besteigt, verstummt der Lärm der Stimmen und Waffen. Die Frauen und Kinder im Hintergrund drängen näher heran. Laut schallt die Stimme
    Imars durch den Buchenhain: „Treverer, ihr wißt, daß wir vor Jahren mit den Germanen Frieden geschlossen und diesen Frieden bis heute gehalten haben. Schon seit Monden berichten unsere Kundschafter jedoch von Kriegsvorbereitungen der Germanen. Jetzt wissen wir, daß diese Vorbereitungen uns gelten. Ein großer Zug von Kriegern ist unterwegs zu unserm Gau. Bald werden sie hier eintreffen. Wir werden aber auch diesmal die Germanen mit blutigen Köpfen nach Hause schicken!" Ein beifälliges Gemurmel geht durch die Reihen der Krieger. „Bevor jedoch der Kampf beginnt, wollen wir die Götter um Rat fragen".


    In der Nähe des Versammlungsplatzes steht ein unbehauener, wohl 5 Meter hoher Felsen. Um ihn haben sich die Priester und Priesterinnen, die Druiden, versammelt. Ein Huhn ist geschlachtet worden.


    Das Blut des Opfertieres sucht sich langsam einen Weg über die Wand des Felsens und durch künstliche Rinnen. Aufmerksam betrachten die Druiden den Fluß des Opferblutes. Priesterinnen untersuchen die Eingeweide des Tieres. Andere Druiden haben in der Stille des Waldes dem Gesang der Vögel gelauscht. Was die Druiden so sehen und hören, deuten sie als Weissagung. Bald verkündet der Oberpriester der versammelten Menge den Spruch des Kriegsgottes Maturbus: „Ihr werdet siegen!" — Begeistert schlagen die Krieger ihre Lanzen an die Schilde. Manche Frau aber erschauert in Angst bei dem dumpfen Dröhnen der Waffen.


    Gaufürst Imar gibt die Kampfanweisungen. Unter Führung ihrer Häuptlinge wenden sich die meisten Krieger der Wikingerburg im Norden der Hochfläche zu. Hier ist der Feind am ehesten zu erwarten. Die Frauen, Kinder und Greise aber eilen ihren weit über die Hochfläche verstreuten Wohnungen zu. Bald kehren die ersten zurück. Mit Ochsen bespannte Wagen tragen den wichtigsten Hausrat und Vorräte an Lebensmitteln. Kinder treiben Rinder und Schafe Am nächsten Morgen machen die Frauen sich auf, den Männern in der 6 Kilometer entfernten Wikingerburg Nahrungsmittel zu bringen. Fast alle Frauen tragen Waffen. Ungefährdet erreichen sie die Nordfestung. Die Wikingerburg ist zwar nicht so groß wie die Niederburg, doch sind ihre Mauern noch stärker, die Gräben tiefer. Inmitten der Festungsanlage erhebt sich ein hoher Turm. Ein Wächter kann von dort aus weit ins Land sehen. Der Wald ist ringsum gerodet, damit der Feind nicht ungesehen heranschleichen kann.


    Um die Mittagsstunde meldet der Wächter den Feind. Die Germanen haben die Höhe erreicht, an deren Abhang heute die Häuser von Schwarzenbruch stehen. Eilends verläßt die letzte Gruppe der Frauen die Festung. Das Tor wird mit schweren Balken verriegelt. Fast eine Stunde vergeht in Erwartung und beängstigender Stille. Es ist für die Krieger in der Festung fast wie eine Erlösung, als aus dem Wald der Nordseite plötzlich das Kriegsgeschrei der Germanen gegen die Mauern brandet. Aus dem Dunkel des Waldes stürmt die Schlachtreihe der Germanen hervor. Auf ein Kommando halten sie an und werfen Steine und kleine Lanzen gegen die Verteidiger auf den Mauern. Pfeile und Brandfackeln schwirren durch die Luft. Die Treverer müssen hinter den Mauern Schutz suchen. So können sich die Germanen bis dicht an die Mauern heranwagen. Einige Feinde haben bereits begonnen, Feuer an die Holzverkleidung der Mauern zu legen. Da prasseln plötzlich Steine, die die Treverer in großer Zahl auf den Mauern aufgehäuft hatten, auf die Feinde herab und begraben viele Krieger unter sich. Die Germanen ziehen sich in den "Wald zurück. Wieder wird es still im Wald und in der Festung.


    Die Germanen beschließen, in aller Stille die Festung zu umgehen und sie von der Südseite anzugreifen. Vorsichtig nähern sie sich den Felsen, die die Hochfläche begrenzen. Sie sind sehr erstaunt, als sie die Felsen, zwischen denen sie nun hinaufklettern müssen, unverteidigt finden. Ihr Mut und ihre Zuversicht wachsen. Sie sammeln sich im Wald und nähern sich nun von der Hochfläche her der Burg. Sie wissen, daß diese Seite weniger stark befestigt ist. Auch befindet sich hier der Haupteingang. Man wird das Tor in Brand setzen oder mit einem Balken einrammen können, hoffen die Germanen. Sie verlassen diesmal vorsichtig den schützenden Wald.


    Da wird auf dem Turm der Festung ein Feuer mit dunkler Rauchwolke sichtbar, und der schrille Ton eines Hornes unterbricht die Stille. Unschlüssig verharren die Feinde außerhalb des Wurfbereichs der Festung. Dann horchen sie auf. In der Ferne, hinter ihrem Rük-ken, ist ein dumpfes Poltern zu vernehmen, das mehr und mehr anschwillt. Dann taucht in der Waldschneise, die von der Ebene zur Festung führt, eine große Schar von Reitern auf. Sie haben sich auf ihren Pferden aufgereckt, stoßen schrille Schreie aus und werfen ihre kurzen Speere. Sie schwenken nach rechts und links in den Wald und versperren so den Zugang zur Hochfläche. Inzwischen hat sich auch das Tor der Festung geöffnet, und die Verteidiger stürmen heraus.
    Die von allen Seiten eingeschlossenen Germanen müssen bald den Kampf aufgeben. Wenn die Germanen nicht ein hohes Lösegeld bezahlen, werden die Kriegsgefangenen das harte Los der Sklaven tragen müssen. Die Gefangenen werden in einem Siegeszug zum Versammlungsplatz geführt. Bei der Siegesfeier sagt Gaufürst Imar: „Wir werden unsere Reiterei verstärken; sie hat diesen Kampf entschieden!"


    Eifel-SAGEN von Hans Theis

    Gespenster vermeiden es bekanntlich, ihren Namen zu nennen und treiben ihr Unwesen am liebsten dann, wenn sie den Augen der Menschen nicht ausgesetzt sind.


    Daß man vor etwa hundert Jahren in einem kleinen Dörfchen der Westeifel einmal ein Gespenst leibhaftig zu sehen bekam, wurde deshalb als ein solches Kuriosum angesehen, daß diese Geschichte noch heute an den langen Winterabenden in den Bauernstuben erzählt - und belacht wird.


    Der reichste Mann des Ortes war der Tienesbauer; er nannte den schönsten Hof und die besten Felder sein eigen. Aber seit zwei Tagen hätte nicht einmal der ärmste Tagelöhner mit ihm tauschen wollen. War es doch seit der vorletzten Nacht im Tieneshofe nicht geheuer: Ein Gespenst trieb des Nachts sein Unwesen in dem Hause. Während die Bewohner zitternd in ihren Betten lagen und sich die Decken über die Ohren zogen, polterte es über die Treppe, rumorte in der offenen Küche und spektakelte auf dem Dachboden. Es war ein undefinierbares, hohl und dumpf klingendes Geräusch, das unheimlich durch die weiten Räume des Hauses klang.


    In der zweiten geistererfüllten Nacht schwor sich der Tienesbauer, dem Treiben des Gespenstes ein Ende zu bereiten. Da er aber selbst nicht über die nötige Erfahrung in der Behandlung von Gespenstern verfügte, schickte er am nächsten Morgen seinen jüngsten Knecht nach Jucken zu "Ihm Haanes", der im Gerüche eines Geisterbeschwörers stand. Der hatte zuerst mancherlei Ausflüchte; da ihm aber der Knecht, wohl wissend, daß er bei seinem Bauern ohne Geisterbanner sehr schlecht empfangen würde, keine Ruhe ließ und ihm noch eine reichliche Abfindung in Aussicht stellte, nahm er schließlich seinen Knotenstock hinter der Stubentür hervor, ein schweinsledergebundenes Büchlein vom Takenschaaf, stülpte seine Mütze über und stelzte schweigsam hinter dem Knechte her.


    Die Dämmerung kriecht bereits durch das enge Tal, als die beiden im Tieneshof anlangen. Ihm Haanes glaubt sich anfangs in ein Trauerhaus versetzt, so ernst die Mienen des Gesindes, so geräuschlos ihr Werken. Fragende, mit Scheu und Bewunderung gemischte Blicke treffen ihn. Der Bauer schildert ihm lang und breit die nächtlichen Vorkommnisse, der Geisterbanner nickt wissend mit seinem grauen Haupt. Die Nacht bricht vollends herein. In der Stube hat sich die Familie und das Gesinde um Ihm Haanes, der eine überaus wichtige und geheimnisvolle Miene zur Schau trägt, versammelt und erwartet die Ankunft des Gespenstes. Der Kienspan knistert, der blaue Rauch aus den Tonpfeifen zieht in Schwaden durch die Stube. Durch die Hände der Mägde gleiten die Perlen des Rosenkranzes. Langsam schleichen die Stunden.


    Es geht auf Mitternacht zu, als plötzlich die Köpfe in die Höhe fahren. Da ist er wieder, dieser unheimliche Radau! Diesmal kommt das Geräusch zweifellos vom Dachboden. Der Geisterbanner steht langsam auf, seine Blicke gleiten langsam über die Runde. Seine Frage, wer ihm assistieren wolle hat zur Folge, daß sich die Blicke schnell wieder senken. Schließlich erweist es sich, daß der Mutigste in der Runde der kleine, bisher wenig beachtete Hütejunge Pittchen ist. Pittchen, mit Kerze und weihwassergetränktem Palmwedel ausgerüstet, Ihm Haanes mit dem geheimnisvollen Buch in der Hand, so schleichen sie die Treppe zum Dachboden hinauf, gefolgt von den ängstlichen Blicken der Hausbewohner. Von oben ist noch immer laut und vernehmlich das gespenstische Treiben zu hören. Das Kerzenlicht wirft unheimlich verzerrte Schatten auf die weißen Wände, die alte Treppe knarrt unter ihren Tritten. Ob das Murmeln des Zaubermeisters aus Zaubersprüchen oder Zähneklappern besteht, läßt sich nicht unterscheiden. Das Ende der Treppe ist erreicht. Der Junge soll vorgehen! Pittchen spricht ein Stoßgebet, dann ein tiefer Atemzug und er steht auf dem Speicherboden. Einen Augenblick lang ist es ganz still, auch das unheimliche Geräusch ist verstummt; das ganze Haus hält den Atem an. In diese beklemmende Stille platzt auf einmal das helle Gelächter des "Zauberlehrlings". Diese unerwarteten Laute klingen so befreiend durch das Haus, daß das Leben plötzlich wieder in alter Form zurückzukehren scheint. Bauer und Bäuerin, Knechte und Mägde poltern stürmisch die Treppe hinauf und betreten mutig den Speicherraum. Dort kniet der Junge auf dem Boden und vor ihm windet sich das Gespenst im Kerzenlicht auf der Erde. - Es ist die alte Hauskatze, deren Kopf in einem irdenen Milchtopf steckt.


    Diese Töpfe wurden früher zum Warmhalten der Milch des Abends in die warme Asche des offenen Küchenherdes gestellt. Beim Naschen war Miezi in dem Behälter stecken geblieben.


    Als das vielstimmige Gelächter der Hausbewohner verklungen ist, sieht man sich nach dem Geisterbeschwörer um. Der aber ist ohne Honorar verschwunden. Auf der Treppe hat er in der Eile sein Geisterbuch liegen lassen; es entpuppt sich als "Goggine, Lehr- und Andachtsbuch für katholische Christen". Der Hütejunge aber hat in seinen alten Tagen noch oft die Geschichte von dem Gespenst auf dem Dachboden erzählt, und durch ihn ist sie uns überliefert worden.


    Einer wahren Begebenheit nacherzählt)
    © Hans Theis, Neuerburg

    Etwa eine Viertelmeile vom Streckelberg, einem Vorgebirge Usedoms, hat vor uralter Zeit eine große, reiche Stadt namens Vineta gelegen. In der Stadt hat alles von Gold und Silber geglänzt. Aber die Leute darin sind gar gottlos gewesen. Sie haben kleine Löcher in den Wänden mit Brot verstopft und ihre Schweine aus goldenen Trögen fressen lassen, und selbst die waren ihnen noch nicht gut genug.


    Da beschloss der Herr, die gottlose Stadt untergehen zu lassen, und an einem schönen Sommertage erhob sich plötzlich ein Wetter; die Wellen brachen über die Stadt herein und begruben alles. Nur ein einziger Mann,der fromm war, setzte sich auf sein schnelles Pferd und eilte davon. Die Wogen stürzten hinter ihm her, allein er entkam glücklich nach Coserow und da war er gerettet; sein Pferd aber stürzte auch sogleich tot unter ihm zusammen.


    So ist Vineta untergegangen. Aber alljährlich am heiligen Ostermorgen erhebt es sich aus der Flut und tanzt und springt freudig über den Wogen.


    A. Kuhn und W. Schwartz, Norddeutsche Sagen, 1848

    DER WILDE JÄGER WODE IN DER SCHWERINER GEGEND


    Einst kam ein Bauer in der Nacht von Schwerin. Sein Weg führte ihn durch den Wald. Da hörte er die Wilde Jagd, das Getümmel der Hunde undden Ruf des Jägers: "Midden in den Weg! Midden in den Weg!" Allein er achtete nicht darauf.


    Plötzlich stürzte aus den Wolken ein langer Mann, der auf einem Schimmel ritt. "Hast Kräfte?", sprach er. "Wir wollen uns beide versuchen. Hier ist eine Kette. Fass an! Wer kann am stärksten ziehen?" Der Bauer fasste beherzt die schwere Kette. Der Wode versuchte nun, sich in die Luft zu erheben. Allein der Bauersmann schlang die Kette um eine Eiche, sodass der Jäger vergeblich zerrte.


    Hast gewiss das Ende um die Eiche geschlungen!", rief der Wode. "Nein", versetzte der Bauer, "sieh, so halte ich sie in meinen Händen." "Nun, so bist du mein in den Wolken!", schrie der Jäger und schwang sich empor. Doch der Bauer schlang die Kette wiederum die Eiche und es gelang dem Wode sein Vorhaben nicht. "Hast doch die Kette um den Baum geschlagen!", sprach der niederstürzende Böse. "Nein", erwiderte der Bauer, der sie eiligst losgewickelt hatte. "Sieh, so halte ich sie in meinen Händen!"


    Und wärest du schwerer als Blei", sagte der Wilde Jäger, "so musst du hinauf zu mir in die Wolken!"


    Blitzschnell ritt er aufwärts. Aber der Bauer half sich auf die alte Weise. Die Hunde bellten, die Wagen rollten, die Rosse wieherten dort oben, die Eiche krachte und schien sich seitwärts zu drehen. Dem Bauer ward bange. Aber die Eiche stand.


    ast brav gezogen", rief der Wode. "Mein wurden schon viele Männer,aber du bist der Erste, der mir widerstand. Ich werde dich belohnen."


    Laut ging die Jagd an: "Holla, holla! Wohl! Wohl!" Der Bauer schlich seines Weges weiter. Da stürzte aus riesigen Höhen ein Hirsch ächzend hernieder. Auf einmal war auch der Wode wieder da, sprang vom weißen Rosse und zerlegte eiligst das Wild.


    Blut sollst du haben", sprach er zum Bauern, "und ein Hinterteil dazu."


    "Herr", rief der Bauer, "dein Knecht hat nicht Eimer noch Topf."


    Dann zieh deinen Stiefel aus!", sprach der Wode. Der Bauer tat's und der Jäger goss Blut hinein und sagte: "Nun wandre mit Blut und Fleisch zu Weib und Kind!"


    Die Angst erleichterte dem Bauer anfangs die Last. Allmählich wurde sie schwerer und schwerer, sodass er sie kaum zu tragen vermochte. Mit krummem Rücken, vom Schweiße triefend, erreichte er endlich seine Hütte.
    Und siehe da, der Inhalt des Stiefels war lauter Gold und das Hinterteil des Hirsches ein Beutel voll Silbergeld.


    Quelle: Krambeer, Mecklenburgische Sagen

    Vorzeiten hütete ein Schäfersmann friedlich auf dem Köterberg, da stand, als er sich einmal umwendete, ein prächtiges Königsfräulein vor ihm und sprach: »Nimm die Springwurzel und folge mir nach.« Die Springwurzel erhält man dadurch, daß man einem Grünspecht (Elster oder Wiedehopf) sein Nest mit einem Holz zukeilt; der Vogel, wie er das bemerkt, fliegt alsbald fort und weiß die wunderbare Wurzel zu finden, die ein Mensch noch immer vergeblich gesucht hat. Er bringt sie im Schnabel und will sein Nest damit wieder öffnen; denn hält er sie vor den Holzkeil, so springt er heraus, wie vom stärksten Schlag getrieben. Hat man sich versteckt und macht nun, wie er herankommt, einen großen Lärm, so läßt er sie erschreckt fallen (man kann aber auch nur ein weißes oder rotes Tuch unter das Nest breiten, so wirft er sie darauf, sobald er sie gebraucht hat). Eine solche Springwurzel besaß der Hirt, ließ nun seine Tiere herumtreiben und folgte dem Fräulein. Sie führte ihn bei einer Höhle in den Berg hinein. Kamen sie zu einer Türe oder einem verschlossenen Gang, so mußte er seine Wurzel vorhalten, und alsbald sprang sie krachend auf. Sie gingen immer fort, bis sie etwa in die Mitte des Bergs gelangten, da saßen noch zwei Jungfrauen und spannen emsig; der Böse war auch da, aber ohne Macht und unten an den Tisch, vor dem die beiden saßen, festgebunden. Ringsum war in Körben Gold und leuchtende Edelsteine aufgehäuft, und die Königstochter sprach zu dem Schäfer, der da stand und die Schätze anlusterte: »Nimm dir, soviel du willst.« Ohne Zaudern griff er hinein und füllte seine Taschen, soviel sie halten konnten, und wie er, also reich beladen, wieder hinaus wollte, sprach sie: »Aber vergiß das Beste nicht!« Er meinte nicht anders, als das wären die Schätze, und glaubte sich gar wohl versorgt zuhaben, aber es war das Springwort.


    Wie er nun hinaustrat, ohne die Wurzel, die er auf den Tisch gelegt, schlug das Tor mit Schallen hinter ihm zu, hart an die Ferse, doch ohne weiteren Schaden, wiewohl er leicht sein Leben hätte einbüßen können. Die großen
    Reichtümer brachte er glücklich nach Haus, aber den Eingang konnte er nicht wiederfinden.


    Der erzählende Schäfer brauchte ganz gleichbedeutend die Springwurzel und das Springwort, wie im Gefühl von der alten Verwandtschaft beider Ausdrücke.


    Quelle: Jacob und Wilhelm Grimm: Deutsche Sagen. Zwei Bände in einem Band. München [1965], S. 38-39.

    Die drei Bergleute im Kuttenberg


    In Böhmen liegt der Kuttenberg, darin arbeiteten drei Bergleute
    lange Jahre und verdienten damit für Frau und Kind das Brot ehrlich.
    Wann sie morgens in den Berg gingen, so nahmen sie dreierlei mit:
    erstens ihr Gebetbuch, zweitens ihr Licht, aber nur auf einen Tag mit Öl
    versehen, drittens ihr bißchen Brot, das reichte auch nur auf einen
    Tag. Ehe sie die Arbeit anhuben, taten sie ihr Gebet zu Gott, daß er sie
    in dem Berge bewahren möchte, und darnach fingen sie getrost und
    fleißig an zu arbeiten. Es trug sich zu, als sie einen Tag gearbeitet
    hatten und es bald Abend war, daß der Berg vornen einfiel und der
    Eingang verschüttet wurde. Da meinten sie begraben zu sein und sprachen:
    »Ach Gott! Wir armen Bergleute, wir müssen nun Hungers sterben! Wir
    haben nur einen Tag Brot zu essen und einen Tag Öl auf dem Licht!« Nun
    befahlen sie sich Gott und dachten bald zu sterben, doch wollten sie
    nicht müßig sein, solange sie noch Kräfte hätten, arbeiteten fort und
    fort und beteten. Also geschah es, daß ihr Licht sieben Jahr brannte,
    und ihr kleines bißchen Brot, von dem sie tagtäglich aßen, ward auch
    nicht all, sondern blieb ebenso groß, und sie meinten, die sieben Jahre
    wären nur ein Tag. Doch da sie sich nicht ihr Haar schneiden und den
    Bart ab nehmen konnten, waren diese ellenlang gewachsen. Die Weiber
    hielten unterdessen ihre Männer für tot, meinten, sie würden sie
    nimmermehr wiedersehen, und dachten daran, andere zu heiraten.


    Nun geschah es, daß einer von den dreien unter der Erde so recht aus
    Herzensgrund wünschte: »Ach! Könnt ich noch einmal das Tageslicht
    sehen, so wollt ich gerne sterben!« Der zweite sprach: »Ach! Könnt ich
    noch einmal daheim bei meiner Frau zu Tische sitzen und essen, so wollt
    ich gerne sterben!« Da sprach auch der dritte: »Ach! Könnt ich nur noch
    ein Jahr friedlich und vergnügt mit meiner Frau leben, so wollt ich
    gerne sterben!« Wie sie das gesprochen hatten, so krachte der Berg
    gewaltig und übermächtig und sprang voneinander, da ging der erste hin
    zu dem Ritz und schaute hinauf und sah den blauen Himmel, und wie er
    sich am Tageslicht gefreut, sank er augenblicklich tot nieder. Der Berg
    aber tat sich immer mehr voneinander, also daß der Riß größer ward, da
    arbeiteten die beiden andern fort, hackten sich Treppen, krochen hinauf
    und kamen endlich heraus. Sie gingen nun fort in ihr Dorf und in ihre
    Häuser und suchten ihre Weiber, aber die wollten sie nicht mehr kennen.
    Sie sprachen: »Habt ihr denn keine Männer gehabt?« – »Ja«, antworteten
    jene, »aber die sind schon sieben Jahre tot und liegen im Kuttenberg
    begraben!« Der zweite sprach zu seiner Frau: »Ich bin dein Mann«, aber
    sie wollt es nicht glauben, weil er den ellenlangen Bart hatte und ganz
    unkenntlich war. Da sagte er: »Hol mir das Bartmesser, das oben in dem
    Wandschrank liegen wird, und ein Stückchen Seife dazu.« Nun nahm er sich
    den Bart ab, kämmte und wusch sich, und als er fertig war, sah sie, daß
    es ihr Mann war. Sie freute sich herzlich, holte Essen und Trinken, so
    gut sie es hatte, deckte den Tisch, und sie setzten sich zusammen hin
    und aßen vergnügt miteinander. Wie aber der Mann satt war und den
    letzten Bissen Brot gegessen hatte, da fiel er um und war tot. Der
    dritte Bergmann wohnte ein ganzes Jahr in Stille und Frieden mit seiner
    Frau zusammen; als es herum war, zu derselben Stunde aber, wo er aus dem
    Berg gekommen war, fiel er und seine Frau mit ihm tot hin. Also hatte
    Gott ihre Wünsche ihrer Frömmigkeit wegen erfüllt.



    Quelle: Jacob und Wilhelm Grimm: Deutsche Sagen. Zwei Bände in einem Band. München [1965], S. 31-33.