Uhlemanns' Konrad
Eigentlich paßt die Geschichte nicht in diesen Thread rein.
Obwohl...ein bisschen Weihnachten kommt auch darin vor.
Der Konrad bewohnte mit seiner Mutter eine kleine Stube in der alten Dorfschule. Direkt über der Wohnung von meiner Oma.
Konrad's Vater war im *Krieg geblieben* wurde uns Kindern erklärt, wenn wir fragten, warum er keinen Papa habe. Einmal fragte ich meine ältere Schwester, warum er nicht einfach nach Hause käme, der Papa von Konrad. Worauf sie mich einen Deppen nannte und meinte, ich solle ihr aus den Augen gehen.
Der Konrad war ein paar Jahre älter als ich. Ich schätzte ihn damals auf 40 oder 50 Jahre. Aber meine Schwester meinte, Konrad sei 4 oder 5 Jahhre älter als sie. Also...vielleicht 14 oder 15...Jahre??!! Na ja...irgendwie so...
Auf jeden Fall war er sehr groß. Und klapperdürr. Seine langen Hosen endeten zwischen den Knien und den Knöcheln und seine Hemden ( Pullover, Jacken)
bedeckten auch nur den halben Arm.
Damals hatte ich schon Angst vor ihm. Denn wenn es niemand sah, knuffte er mich immer, zog an meinen Ohren oder stellte mir ein Bein, so dass ich ab und an auf die Nase fiel. Aber das machte er auch bei den anderen Kindern. Wenn ich es meiner älteren Schwester sagte, meinte sie
ich solle Konrad aus dem Weg gehen, er habe nicht alle Tassen im Schrank. Als ich sie fragte, warum er zu wenig Tassen im Schrank habe,
meinte sie, ich habe auch zu wenig Tassen im Schrank. Ich kam damals nie darauf, was sie mir damit sagen wollte. Die blöde Kuh.
Wir kleineren Kinder ärgerten natürlich den Konrad, wenn wir ihn sahen. Ahmten seinen schlenkernden Gang nach und sangen: * Konrad der große, kackt in die Hose* und ähnliche lustige Liedchen. Ich weiß bis heute nicht, wer den *Krieg* angefangen hat. Er mit seinen Ohren ziehen und knuffen, oder wir mit unseren Liedchen und nachäffen.
Seiner Mutter und ihm ging es sehr schlecht. Sie arbeitete als Tagelöhnerin, half in der Dorfkneipe, oder wusch für die anderen Leute die Wäsche.
Konrad arbeitete nicht's. Er war ständig im Dorf unterwegs auf der Suche nach...??? nach was wusste er selber nicht so genau. Ab und an gab meine Oma ihnen eine Schüssel mit gekochten Kartoffeln die sie sofort verschlangen. Konrad's Mutter kam manchmal zu meiner Oma in die Küche und fragte : *Frau Lesch, ham sie nich ein paar Heringsköppe ibrig*--einmal äffte ich sie nach, worauf mir meine ältere Schwester eine saftige Ohrfeige gab.
Im Winter lauerten wir dem Konrad auf und bewarfen ihn mit Schneebällen. Wehe, wenn er einen von uns erwischte! Mich hatte er mal so in den Schnee gedrückt, dass ich dachte, mein letztes Stündlein habe geschlagen. Aber wir rächten uns! Einmal gaben wir ihm einen kaputten Schlitten und huiii krachte er damit gegen einen Baum. Eigentlich tat er mir dann etwas leid, der Konrad..
Wie immer drückte er mich in den Schnee, als er mich erwischte. Wie immer sann ich auf Rache.
Der Dorfbach bekam eine dünne Eisschicht und wir Kindern sprangen über den Bach--auf das Eis traute sich keiner. Konrad kam und deutete an, er wolle auch mal springen. Wir dirigierten ihn an eine Stelle des Bachufers, an der der Schnee und ein dünner Busch darunter eine Art Kanzel *gebaut* hatten. Wir erklärten Konrad, das diese Stelle die Beste zum springen sei. Er solle nur richtig Anlauf nehmen und bis auf die Schneekanzel galoppieren und dort abspringen. Was er auch tat. Wir Kinder suchten schon das Weite als er kurz vor der Kanzel war. Als wir losrannten hörten wir wie Konrad im Bach landete. Patschnass lief er nach Hause und war dann eine Woche richtig krank. Oma schickte mich dann zu ihm und ich musste ihm einen Apfel und meine Nüsse geben, die ich vom Weihnachtsmann bekommen hatte.
Konrad bekam nicht's vom Weihnachtsmann. Die waren so arm, dass sogar der Weihnachtsmann sie übersah. Aber ich weiß, das meine Oma am ersten Weihnachtstag immer einen Korb mit Lebensmitteln ( obwohl sie selber nicht viel hatte ) hoch in die Stube brachte. Für Konrad gab es selbstgestrickte Strümpfe und seine Mutter bekam meist etwas Wäsche.
Wie schon geschrieben, gingen wir irgendwann in den Westen. Jahre später, als die Mauer weg war und ich in die alte Heimat durfte, fragte ich natürlich nach Konrad. *Seine Mutter ist schon vor vielen Jahren gestorben*, hieß es und den Konrad haben *sie abgeholt* ---und kein Mensch hat jemals wieder etwas von ihm gehört.
© Hippie