Multiple Sklerose - Der Beginn meiner Geschichte

  • Dies ist die Geschichte, wie ich zu meiner Diagnose kam und wie ich damals zu meinem Problemchen stand. Der Unterschied zu heute: Ich bin kein Agnostiker mehr - ich bin überzeugter Atheist. Ich bin überwiegend Kopfmensch und habe eine Frau an meiner Seite. Überdies hatte ich mittlerweile einen Herzinfarkt mit daraus ergebender 3-fach-Bypass-OP. Ich habe einen entspannten Bezug zu meiner Krankheit. Ich weiß, dass sie (noch?) unheilbar ist und dass ich gewisse Dinge nicht mehr praktizieren kann - so what. Es gibt viele Menschen, denen es schlechter als mir geht


    - (wirklich geschrieben am 15. April 2000 01:50:32) -

    Ein "g'schamster Diener" an alle,

    ich bin 1963 in Wien geboren, Freelancer in der EDV (IT) und denke nie (nein, nicht mehr) darüber nach, was noch alles kommen kann. Ein kleiner Agnostiker in mir warnt mich, nicht zu euphorisch zu werden (egal, in welcher Richtung). Somit kann ich nicht mehr zu sehr enttäuscht werden.

    Historie (teilw. Histerie):

    1993 - wunderschönes Wochenende in Kitzbühel. Schifahren war mein liebstes Hobby. Kein Hang zu steil, keine Abfahrt zu schnell. Am Samstag hatte ich einen bösen Sturz. Mit Müh' und Not kam ich ins Tal und schleppte mich ins Auto. Da ich von Haus aus eine Abneigung gegen Ärzte und Krankenhäuser habe ("es kommt von selber, es geht von selber") habe ich mich mit essigsaurer Tonerde behandelt. Am nächsten Morgen (das Knie schwoll über Nacht stark an) brach ich nach dem Frühstück nach Hamburg auf. Tags darauf begann ich mit einer Schmerztherapie. Jede Menge Schmerzmittel.

    Die Schmerzen wurden immer heftiger und gipfelten darin, dass ich schmerzstillende Injektionen ins Knie verlangte (bei einer ausgeprägten Injektionsphobie). Warum ich mich nicht schon früher behandeln ließ. Ich war der Meinung, dass es sowieso wieder besser wird. Außerdem wollte ich zwischen zwei Aufträgen mal eben schnell im Spital vorbeischauen. Mein Hausarzt verweigerte mir schließlich weitere Injektionen (2 - 3 mal die Woche). Mir blieb also nichts weiter übrig, als ins Spital zu gehen.

    2 x Glück -

    1. Glück Ich suchte mir das SMZ-Ost am anderen Ende von Wien aus. Das KH hat einen sehr guten Ruf in Orthopädie. In der Ambulanz sagte ich, dass ich wegen der Arthroskopie vorbeikäme und weil heute Dienstag sei, ich am Samstag wieder zu Hause sein könne. Wo meine Befunde seien. Welche Befunde? 2 Wochen später hatte ich sie und wurde aufgenommen. Die Zeit bis zum nächsten Auftrag wurde knapp. Noch 16 Tage. Lt. Aussage eines Ortho dauert eine Arthroskopie maximal vier Tage. Am Tag vor der Operation kam der operierende Orthopäde und sagte: "Gehen sie mal." - Ich wackelte ächzend unter Schmerzen durchs Zimmer. "Sie gehen aber komisch." - "Sie Schwätzer! Nach vier Jahren gehen Sie auch komisch!" (sehr laut und aufgebracht, weil ich Ärzte nicht mag).

    Er entschuldigte sich und meinte, ich hätte ihn falsch verstanden, er wolle mich zu weiteren Untersuchungen auf die neurologische Station schicken. Mein Aufschrei "Ich bin doch nicht verrückt! Ich hab's im Knie, nicht im Kopf!" wurde ignoriert. Danach begannen Untersuchungen und ich wurde immer stiller und weniger aggressiv. CT, MRT, Augen, Ohren, Sensibilität. Alles wurde durchgecheckt. Ich wusste damals von MS nichts; habe nur ein Foto gesehen von einem Mann, der hilflos, sabbernd und apathisch im Rollstuhl saß. Als ich nach sechs Wochen vom Arzt hörte, dass eine Lubalpunktion gamacht wurde, fragte ich meine "Mitgefangenen", was denn das sei. Antwort niederschmetternd. Danach, das Nachdenken. Das passiert immer nur den anderen. Mir kann das nicht passieren.

    Ich ließ mir mitteilen, wann mit einem Befund zu rechnen ist. An dem betreffenden Tag, traf ich am Gang meinem Neuro. "Na, Herr Doktor, ist der Befund schon da?" - "Wir reden später, ich muss zum Primar." - "Geh, es gibt ja nur drei Möglichkeiten - dauert zwei Sekunden; also hab ich Krebs?" - "Nein" - "Na Klasse, dann kann es ja nur mehr MS oder nix sein." - "Ja Herr Artmann, ich schätze sie stark genug ein, was ich bis jetzt gesehen habe. Der Befund ist positiv. Sie haben MS." ... ... ... Meine Frage "Wie lange habe ich noch?" wurde mit "Was wissen sie eigentlich über MS?" gekontert. "Man landet sabbernd, apathisch und gelähmt im Rollstuhl!"

    Dieser Arzt, der noch einen Termin beim Primar hatte, nahm sich vier Stunden Zeit, um mir in groben Zügen und sehr allgemein, einen kleinen Einblick in die MS zu geben. 2. Glück: Das SMZ-Ost ist führend, was die Behandlung von MS-Kranken angeht. Jeder Arzt, den ich angesprochen hatte, nahm sich Zeit. Im Forum habe ich über erschütternde Ereignisse gelesen. Ich bin schon ziemlich hart im Nehmen gewesen, aber wäre es mir so passiert, wie ich es schon wiederholt gelesen hätte, wäre ich heute nicht mehr hier. Ich hätte mir "den Schädel weggeblasen". Heute ist das kein Thema mehr für mich.

    Da ich unmittelbar nach der Lumbalpunktion aufgestanden bin, um Rauchen zu gehen, hatte ich immer Kopfschmerzen. Vielleicht nehme ich deshalb so gerne Cortison; da bin ich nämlich scherzfrei und das ist schon sehr schön.

    Seit Mitte 1998 wurde ich auf AVONEX eingestellt (auf eigenen Wunsch - ich konnte mir aussuchen, was ich wollte. (Copaxone war auch dabei!) Da ich aber bequem bin, wollte ich nicht täglich, bzw. alle zwei Tage spritzen. Die meisten Nebenwirkungen kenne ich übrigens nur vom Hörensagen. Außer hin und wider Kopfschmerzen (wenn man permanent Kopfschmerzen hat ist es etwas paradox, der Unterschied ist die Intensität), die ich mit MEXALEN behandelte.

    Ich habe einen Behindertenausweis beantragt (70 %) und habe einen Ausweis fürs Auto (in Deutschland würde es ein "AG“ sein) habe ich mittlerweile auch. Wenn ich schon diese Krankheit habe, will ich auch einige Vorteile haben.

    Im ersten Jahr nach der Diagnose hatte ich zwei relativ schwere Schübe, seit AVONEX nur zwei relativ harmlose. Ich gehöre zu den beneidenswerten MSlern, die offensichtlich nicht behindert sind. Das allerdings nur deshalb, weil ich es (noch) ganz gut kaschieren kann.

    Mein Neuro sagte zu mir: "Vermeiden Sie ...

    Stress ......................... ich arbeite maximal 16 Stunden

    Anstrengung ................... ich spiele nur noch Golf


    Leben Sie gesund. Das heißt

    essen ......................... manchmal ganze Tage nicht, weil ich keine Zeit habe, bzw. sie mir nicht nehme.

    sie vernünftig.

    Trinken ....................... ;) nur was mit Gewalt reingeht

    und

    Rauchen ....................... 40 Zigaretten am Tag und 10 Zigarren die Woche


    sie tunlichst nicht, bzw. wenig.

    Ich ignoriere geflissentlich die Symptome und die Krankheit im Allgemeinen. Ich will es nicht wahrhaben, dass ich mich jetzt einschränken soll. Ich lebe JETZT und ich lebe intensiv! Sollte ich deshalb mein Leben verkürzen, stehe ich dazu. Ich will mir nie wieder Vorwürfe machen müssen, etwas verpasst zu haben, oder ähnliches.

    Es ist offensichtlich, dass ich keine dauerhaften Partnerschaften (mehr) habe. Denn auf Dauer hält es mit mir sowieso keiner aus - oder umgekehrt.

    Ich bin dankbar und froh, dass es dieses Forum gibt, denn endlich konnte ich mir das von der Seele schreiben, was mir schon so lange auf der Seele gebrannt hat.

    Ich wünsche Euch allen eine beschwerdefreie Zeit

    Espresso

    P.S.: Seht mir mein episches Format nach


    Nachtrag (2020): Mittlerweile bekomme ich keine Schübe mehr. Der Verlauf ist progredient. Es wird - so heißt es - mit der Zeit immer schlimmer. Naja, ich gehe am Stock und ignoriere immer noch alles andere. Ich nehme auch keine MS-Medikamente mehr und bin 2 mal pro Jahr bei meinem Neuro. Wenn ich zu Fuß unterwegs bin, mache ich alle 100 bis 150 Meter eine Pause, weil mein linkes Bein sonst den Dienst verweigern will. Also fahre ich lieber mit dem Rad, bzw. mit dem Auto. Es ist mir pfeifegal, was andere zu meinem Umgang mit Medis und Alkohol sagen. Ich bin Hedonist und dazu stehe ich. Wenn ich abtrete, kann ich mir zumindest keine Vorwürfe machen, auf irgendetwas verzichtet zu haben.

    Vegetarier leben nicht länger - sie sehen nur älter aus

    Dummheit fängt dort an, wo Sarkasmus nicht mehr verstanden wird

    "Kaffee dehydriert den Körper nicht. Ich wäre sonst schon Staub." Franz Kafka

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