Eines noch fällt mir ein, was ich
bis zum heutigen Tag nicht vergessen werde.
Im Jahre 1983 fuhr ich mit meinem Sohn, damals 5 Jahre alt, nach Ungarn, Pecs,
wo wir Verwandte besuchen wollten. Damals war ja noch die glorreiche und gute
alte Zeit des Eisernen Vorhangs.
Wenn man Verwandte besucht bringt man im allgemeinen ja immer was mit, vor
allem. wenn sie so weit wohnen, also fast im Morgenland. Daher kaufte ich in
Freiburg, damals noch Wertkauf, 6 dieser neuen und hochmodernen digitalen
Armbanduhren, wo sogar noch ein Taschenrechner drauf war. Will heißen, 2 Stück
für die erwachsenen Anverwandten und 2 Stück für deren Kindern, den Rest..na
ja, man weiß ja nie. Ich war mir natürlich klar, daß die Einfuhr von solchem
Wessizeugs nicht erlaubt war, aber ohne Risiko kein Erfolg.
An der jugoslavisch- ungarischen Grenze wurde man natürlich kontrolliert mit
fast allem Drum und Dran. Eine eigentlich recht nette und jugendliche Zöllnerin
überprüfte Personalien, Führerschein usw. und brachte die Papiere ins kleine
Zöllnerhäuschen. Dann bat sie mich mit einer süßen Stimme, meinen Kofferraum,
Handschuhfach und Motorhaube zu öffnen. Sie befühlte sehr sacht und vorsichtig
unsere Reiseutensilien, nahm nichts heraus und lächelte nur. Sie erinnerte mich
ein wenig an Piroschka, also die aus dem gleichnamigen Film. Da ich aber leider
schon verheiratet war, verkniff ich es mir zu fragen, ob sie heute Abend schon
was vorhätte.
Beiläufig fragte sie noch, ob ich sonst noch was Anderes zum Einführen hätte?.
Nö, sage ich, sonst nichts.
Nun kommt mein überschlaues Söhnchen ins Spiel mit der überflüssigsten Frage
aller Zeiten: "Aber Papi, was ist mit den Uhren?" Jetzt möchte ich im
Erdboden versinken und sehe mich schon in einem ungarischen oder sowjetischen
Gulag Steine zerdöppern. Meinem Söhnchen würde ich aber noch vorher den Hals
umdrehen. Ich sage jetzt aber gar nix, aber ich weiß genau, dieses kleine
Zöllnermädchen hat das gehört. Es tut noch ein bißchen geschäftig, dreht uns
den Rücken zu, aber ich meine genau zu sehen, daß es lächelt. Es holt unsere
Papiere, übereicht sie uns und lächelt, es lächelt nicht mich an, sondern
meinen mißratenen Sohn. Es streichelt ihm über den Kopf, mir nicht und wünscht
uns einen guten Aufenthalt.
Ein paar Kilometer wieder im Auto lese ich ihm die Leviten, was ihm eigentlich
einfiele...usw. Er schmollt und meint, aber ich hätte ihm doch immer und immer
wieder gesagt, man solle im Leben ehrlich sein. Ja, aber es gäbe da Ausnahmen,
sage ich. Welche denn?, fragt er verunsichert. Ich schaue ihn an und sage,
eigentlich gar keine, außer wenn man ins Ausland fährt. Jetzt möchte ich ihm
nicht mehr den Hals umdrehen sondern streiche ihm über's Köpfchen, sein zweiter
Streichler an diesem Tag, ich hatte noch keinen einzigen.
Die Tage in Ungarn waren wunderschön. Pecs, Budapest, der Balatonsee, aber das
kleine Erlebenis an der Grenze, das werde ich nie vergessen vor allem nicht die
kleine Zöllnerin.
W. Gerhard